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Wirtschaft
26.02.2024
27.02.2024 08:32 Uhr

Cilander schliesst im August - was bedeutet das für die Standorte?

Bild: zVg
Die AG Cilander informierte vergangene Woche über die endgültige Schliessung der Textilfirma. Im Konsultationsverfahren konnten kleinere Lösungen erarbeitet werden, die eine teilweise Übernahme von Mitarbeitenden und die Weiterführung einiger Geschäftstätigkeiten in Aussicht stellen. Was im Konsultationsverfahren darüber hinaus rauskam, was mit den Betriebshallen geschieht und welche Emotionen die Schliessung hervorruft, verrät CEO Burghard Schneider im Interview mit Herisau24.

Herr Schneider, in der letzten Woche gaben Sie die endgültige Schliessung der AG Cilander für August 2024 bekannt. Wie ist es Ihnen seit bzw. mit der Entscheidung ergangen?
Die tatsächliche Schliessung ist eine bittere Erkenntnis, die die gesamte Belegschaft teilt. Wir sind in das Konsultationsverfahren mit Hoffnung gestartet - jedoch auch im Wissen, dass wir in den letzten Jahren sehr viel unternommen haben, um eine Schliessung abzuwenden und die gesamte Firma zu retten unwahrscheinlich ist. Wir mussten jetzt und auch im vergangenen Jahr feststellen, dass qualitativ hochwertige, nachhaltige, nach social compliance-Standarden gefertigte Produkte zwar gewünscht und gefordert sind – die Kunden unserer Kunden jedoch nicht mehr bereit sind, dafür zu zahlen. Wenn unsere Kunden keinen Absatzmarkt haben, haben wir auch keinen mehr. Das ist unser grosses Problem. Die Nachfrage ist laut, aber wir disqualifizieren uns als Konsumenten selbst, wenn wir dann in letzter Instanz doch auf die billigeren Produkte setzen. Dies geschieht dann auf Kosten der Nachhaltigkeit, Gesundheit und ökologischen Faktoren, die dem Kaufpreis in dem Moment – vielleicht unterbewusst - untergeordnet werden.

Die Gemeinde lobt die AG Cilander auch insbesondere im Bezug auf die Zusammenarbeit in Bezug auf Abwasser. Ist das so ein Thema, dass in Bezug auf Nachhaltigkeit kostspielig ist?
Dieser Bereich und andere. Als ich vor vier Jahren kam, musste ich mich selbst zunächst einfinden und war überrascht, wie viel chemische Prozesse in der Veredlung und Herstellung von Textilien verwendet werden. Farben, Weichmacher, bügelfreie Textilien: Das alles kommt nicht von ungefähr, sondern ist chemisch oder biologisch herbeigeführt. Was viele vergessen: alles, was wir auf der Haut tragen, geht auch in unseren Körper über. Die meisten sind sich nicht bewusst, dass sie Formaldehyd anziehen – und wollen es auch nicht. Textilien nachhaltig und schadstofffrei herzustellen, kostet Zeit und Geld – und viele Endkunden sind nicht bereit den Preis dafür zu zahlen. Im Bereich Abwasser hat die Cilander vorbildlich alle chemischen Zusätze aus dem Wasser gefiltert, bevor es ins Abwasser geht – auch das kostet natürlich und spiegelt sich im Endpreis wider. Es dient aber dem Erhalt der Umwelt und Gesundheit von Mensch, Tier und Natur.

Sie sagten, dass Sie mit der Einstellung ins Konsultationsverfahren gestartet sind, dass die gesamte Firma nicht gerettet werden kann. Das hat sich bewahrheitet. War das Konsultationsverfahren also von vornherein ein Schauspiel?
Ganz im Gegenteil: Wir konnten dadurch tatsächlich Lösungen finden, um künftig allenfalls Teilbereiche der Geschäftstätigkeiten zu erhalten. Darüber sind wir froh. Das Verfahren war zudem essenziell, um die Mitarbeiter abzuholen, ihnen zu zeigen, dass wir unterstützen und Anschlusslösungen finden wollen. Ganz besonders herausragend war auch die Arbeit der Personalkommission PEKO, die sich seit Ende Januar ausserordentlich engagiert und eingesetzt hat. Ihr und allen Mitarbeitern gilt mein grösster Respekt und Dank. Es ist eine beachtliche Leistung, was im Konsultationsverfahren innerhalb eines Monats mit einem hohen Mass an Professionalität entstanden ist.

Was genau ist denn beim Verfahren rausgekommen? Welche Teilbereiche können weitergeführt werden?
Im Verfahren selbst hatten wir zwei klare Fokusse: Die Anzahl von Kündigungen reduzieren und die Folgen der Kündigung für alle Betroffenen abmildern. Wir haben zum einen Teilbereiche von Produkten oder Technologien, die teilweise übernommen werden können, manchmal sogar mit dafür nötigen Maschinen. Diese werden selbstständig von einzelnen Mitarbeitern weitergeführt bzw. vertrieben – wie zum Beispiel das Produkt Planofil oder der Cilander-Shop. Zudem stehen wir mit Unternehmen bezüglich Übernahmen in Verhandlung: Eine interessante Option ist da der weitere Betrieb in Lützelfüh. Dieser kann eventuell unter einem anderen Besitzer als Zusammenschluss von mehreren Unternehmen weitergeführt werden. Ebenso bei unserer Tochterfirma Alumo, die Hemdenstoffe für Massschneider und die höchsten Mode-Brands in kleineren Mengen entwickelt und vertreibt. Deren Geschäftstätigkeit kann sehr wahrscheinlich mit leicht veränderter Supply Chain weitergeführt werden. Die Themen «Heritage» und «ein Luxusprodukt aus der Schweiz» machen den Verkauf dort realistisch. Bei Lützelfluh sind wir jedoch auch guter Dinge.

Was ist mit dem Werk in Flawil?
Dieser Standort wird definitiv geschlossen. Allerdings führen wir auch da Gespräche mit Partnern für eine Nachfolgelösung. Für verfahrenstechnisches Gewerbe mit der Nähe zu St.Gallen und Herisau ist Flawil als Industriestandort attraktiv. Wir suchen hier gezielt nach vergleichbarer Industrie, z. B. auch im Bereich Nahrungsmittelverarbeitung oder ähnlichem, die das Werk übernehmen könnte.

Was passiert mit der Liegenschaft der AG Cilander in Herisau? Werden die Gebäude vielleicht sogar abgerissen?
Ziel ist es auch hier, die Gebäude an verfahrenstechnisches Gewerbe zu verkaufen und so auch wieder für neue Arbeitsplätze zu sorgen. Die Gebäude sind teilweise modern, müssen teilweise aber auch restauriert werden. Wir können auch hier nur für den idealen Standort und die gute Anbindung an die Gemeinde sowie die Stadt St.Gallen werben. Herisau ist attraktiv. Was ein potenzieller Käufer jedoch letztlich macht, welche Gebäude er wie nutzt, ist ihm überlassen. Interessenten gibt es aber.

Wie viele Mitarbeiter können denn jetzt konkret übernommen werden?
Wir sprechen von 15 Mitarbeitenden in Lützelflüh und 15 für Alumo, die übernommen werden könnten. Wobei der Standort von Alumo später eventuell nicht mehr in Herisau, sondern auch in Appenzell liegen könnte – das ist noch unklar. Die Zahl zur Selbständigkeit weiterer Mitarbeiter ist ebenfalls noch offen.

Sie sprechen von «könnten» - also ist noch nichts fest?
Wir sind seit letzter Woche in den Detailverhandlungen und müssen nun alles konkretisieren. Solang noch keine Unterschriften getätigt wurden, ist immer noch alles offen. Aber wir sind positiv. Bezüglich der Übernahme der Mitarbeitenden ist es natürlich so, dass der neue Arbeitgeber das letztlich entscheiden muss. Aber das Interesse am Knowhow der Mitarbeiter ist gross – es geht nicht nur um den Kauf einer Hülle, sondern vor allem auch um den Inhalt. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich mich für jeden freue, der Cilander-Mitarbeiter übernehmen kann. Denn sie haben das nötige Fachwissen, die Erfahrungen und bringen Motivation und Empathie mit. 

Und welche Massnahme hat man in Bezug auf die Abmilderung der Kündigungsfolgen getroffen?
Es wurde zum Beispiel ein Sozialplan entwickelt, der die Wiedereingliederung von Mitarbeitern in anderen Betrieben oder die Übernahme von Lernenden in Partnerbetrieben regelt. Die grosse Loyalität der Mitarbeiter untereinander ist herausragend: Innerhalb kurzer Zeit wurde ein Care-Team auf die Beine gestellt, dass heute ein eigenes Büro hat. Dort unterstützen Mitarbeiter ihre Kollegen im Bewerbungsprozess, trainieren, helfen aktiv beim Schreiben, organisieren Fototermine und stehen für Gespräche offen – alles unter dem Motto ‘Hilfe zur Selbsthilfe’. Einige unserer Mitarbeiter haben sich noch nie beworben, können teilweise nicht fliessend deutsch – ihre Einstellung erfolgte vor 20 und mehr Jahren per Handschlag. Für sie ist die gesamte Situation in diesem Punkt zusätzlich herausfordernd.

Wie haben die Mitarbeiter auf die Schliessung reagiert?
Als wir am 25. Januar zur Einleitung des Konsultationsverfahren informiert haben, wussten alle schon, das etwas auf sie zukommt. Die PEKO hat mit einer Massenentlassung gerechnet und sich entsprechend vorbereitet. Eine Kündigung ist nie schön und mit Ärger und oftmals auch anfänglichem Unverständnis verbunden. An diesem Tag sind keine Rollen durch die Gegend geflogen, aber es war eine grosse Anspannung in der Luft. Dennoch waren die Mitarbeiter gefasst und überaus loyal: Viele haben selbst gesehen, wir haben alles versucht – über Jahre haben alle ihr Bestes gegeben - und damit meine ich wirklich alle Mitarbeitenden. Am Ende war das Eingeständnis ‘es funktioniert nicht mehr’ vielleicht das Schmerzhafteste für viele. Das Verfahren hat auch dazu beigetragen, dass wir nochmal alle möglichen Optionen gemeinsam geprüft und verworfen haben oder aber letztlich angegangen sind.

Sie sind vor vier Jahren als CEO ins Boot geholt worden – vielleicht auch als Rettungsschirm in einer bereits sehr prekären Absturzsituation. Wie ergeht es Ihnen persönlich damit, dass ihre Bemühungen nichts gebracht haben?
In den vergangen Jahren haben wir wirklich viel geschafft: Wir haben uns vom traditionellen Lieferanten mit über 200-jähriger Historie und mehr oder weniger gleichbleibender Agitationsweise zu einem innovativen Textilunternehmen entwickelt, unsere Partnerschaften gestärkt, die Produktivität gesteigert und unseren Produktfokus klar gesetzt, anstatt ein breites Portfolio zu bedienen. Wir haben viel erreicht, aber am Ende haben wir den Anschluss auf Grund der veränderten Marktnachfrage nicht gefunden. Das trifft mich persönlich – insbesondere auch, weil alle Mitarbeiter sich gestreckt und gereckt haben, alle Veränderungen mit angegangen sind.

Was sind die Hauptaufgaben in den nächsten Monaten bis zur Schliessung?
Zum einen müssen wir noch ein halbes Jahr produzieren und haben dafür eine gute Auslastung an offenen Aufträgen. Unsere Kunden sind teilweise seit Jahrzehnten loyal – die wollen wir nicht enttäuschen und mit maximaler Qualität in gewohnter Manier liefern. Sie vertrauen uns auch jetzt noch: die letzten Bestellungen sollen sie ebenso zufriedenstellen wie vorherige. Darüber hinaus müssen wir den Maschinenpark und die Anlagen verkaufen – das braucht ebenfalls Ressourcen. Aber die übergeordnete Priorität hat, Anschlusslösungen für alle Mitarbeiter zu finden – und damit meine ich wirklich alle, unabhängig von Position und Alter. Das ist unser Hauptaugenmerk. Und dahingehend bin ich dankbar, dass bereits viele Unternehmen in der Gegend Interesse an der Übernahme unserer Mitarbeitenden bekundet haben. Dieses Interesse gilt es jetzt aufzunehmen und in konkrete Verträge umzuwandeln.

Vanessa Vogt