Es sind gigantische Datenmengen auf dem Bildschirm von Lisa Marie Giermindl, Daten aus der Personalabteilung eines grossen Schweizer Unternehmens, selbstverständlich anonymisiert; die OST-Professorin für Leadership und HR-Management kann also keine Rückschlüsse auf einzelne Angestellte ziehen.
Das ist auch nicht notwendig. Gemeinsam mit dem internen People-Analytics-Team soll Lisa Giermindl im Auftrag der Personalverantwortlichen herausfinden, weshalb das Unternehmen von einer Kündigungswelle betroffen ist.
«Entscheidend ist, dass man vor der Datenanalyse plausible Hypothesen aufstellt und weiss, welche Zusammenhänge man überprüfen möchte. So kann man vermeiden, dass man etwas in den Daten übersieht oder einem Artefakt aufsitzt, ein Muster sieht, wo es gar keines gibt», erklärt Giermindl.
Muster als Entscheidgrundlage
So allmählich kristallisiert auf Giermindls Bildschirm tatsächlich ein Muster: Weit vor der Kündigungswelle scheinen die Krankheitstage bei den über 3000 Angestellten zugenommen zu haben. «Die Zunahme der Krankheitstage (über eine bestimmte Schwelle) scheint ein sehr zuverlässiger Indikator zu sein für die ‹innere Kündigung›», so Giermindl.
Ein anderes Unternehmen will mehr Umsatz erzielen und kontaktiert deshalb Lisa Marie Giermindl. Sie soll aus den Verkaufszahlen herausfinden, welche Strategie am meisten Erfolg verspricht. Die Datenauswertung der OST-Professorin überrascht selbst die Geschäftsleitung:
Die Erweiterung der Verkaufsfläche war in den vergangenen Jahren nicht die entscheidende Grösse für den guten Geschäftsverlauf; das gezielte Training und die Motivation der Verkäufer haben dem Unternehmen weit mehr Erfolg gebracht als die Produktvielfalt. Fazit: Eine Investition in das Personal zahlt sich mehr aus als die Vergrösserung der Verkaufsfläche.
OST forscht an Innosuisse-Projekt
Der Begriff People Analytics – oder «HR Analytics» – taucht in der Fachliteratur erstmals 2004 auf. «Seither hat sich viel getan, vor allem in den letzten zehn Jahren mit dem verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz und Algorithmen in der Datenanalyse», sagt Giermindl.
Auch das Institut für Organisation und Leadership (IOL) der OST gehört zu den führenden Forschungszentren auf diesem Gebiet: So hat sich das IOL vor vier Jahren mit dem Strategieberater HR-Campus, dem Versicherer Helvetia, den Konsumgüterunternehmen La Prairie und Manor sowie dem Mischkonzern Siemens Schweiz zusammengetan und das Forschungsprojekt «Predictive HR Analytics» lanciert.
Gefördert wird es von Innosuisse. «Das Projektziel ist, Unternehmen methodisch, fachlich und technologisch bei der Einführung von Predictive-HR-Analytics-Lösungen zu unterstützen und zu einem nachhaltigen Aufbau von HR-Analytics-Kompetenzen beizutragen», zitiert Giermindl aus der Projektskizze.
Was unter diesen vorausschauenden HR-Lösungen gemeint ist, erläutert die OST-Professorin an einem Beispiel. «Alle reden vom ‹lifelong Learning›. Aber wie kann es gezielt gefördert werden?» Die Datenauswertung der OST zeigt: Wenn die Vorgesetzten sich weiterbilden, hat dies einen grossen, motivierenden Vorbildeffekt auf die Mitarbeiter, sich ebenfalls um eine Weiterbildung zu kümmern (und die Anzahl der Trainingsstunden steigt proportional).
Risiken der Datenauswertung berücksichtigen
Wenn Personaldaten im Spiel sind, ist neben dem Datenschutz auch die missbräuchliche Anwendung ein wichtiges Thema, das diskutiert werden muss, die ‹dark sides› von People Analytics, wie sie Lisa Giermindl bezeichnet. «People Analytics kann die komplexen menschlichen Interaktionen oft nicht vollständig abbilden, sodass die Gefahr besteht, dass Mitarbeiter zu schnell in eine Schublade gesteckt werden».
Das Tool MyAnalytics untersuche beispielsweise den Workflow von Angestellten mit dem Ziel diesen zu optimieren. Das Microsoft-Tool registriere, wie man seine Zeit bei der Arbeit verbringt, wie schnell auf eine eMail geantwortet wird oder wie lange man sich in einem Teams-Meeting aufhält. Aus den Daten könne man aber – insbesondere bei Wissensarbeitern und Experten – nicht ohne Weiteres Rückschlüsse ziehen, so Giermindl.
«Viele Meetings bedeuten nicht, dass man auch effektiv arbeitet. Und das schnelle Beantworten von Mails muss nicht zwingend effizient sein. Zudem können die besten Ideen und Innovationen auch in einer Pause oder im spontanen Austausch mit einem Kollegen entstehen.»
People Analytics sei für das Personalmanagement daher ein wichtiges Tool, es brauche aber immer auch den Menschen, der die Daten in einen Kontext stelle und kritisch hinterfrage.
Mit Daten Geschichten erzählen
Neben den Chancen und Risiken von People Analytics im Personalmanagement, weist Lisa Marie Giermindl auch auf die neuen Perspektiven für das Personalwesen hin. «People Analytics kann dem HR helfen, glaubwürdige Geschichten mit Zahlen zu erzählen – was einen datengestützten Entscheid erlaubt. In der Chefetage stösst man so eher auf offene Ohren. Dies kann dazu beitragen, dass sich das HR als strategischer Partner der Geschäftsleitung etabliert.»